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2013Jahr: älter

50 Jahre Abendrealschule Ravensburg - Jubiläum einer besonderen Schule

Ravensburg: „Es sind die Biographien der einzelnen Schüler, die uns berühren.“ So fasste Sigrid Zodel die Motivation der Lehrerinnen und Lehrer an der Ravensburger Abendrealschule zusammen. Die ganz unterschiedlichen Lebensläufe, die sich dahinter zeigen, und die so verschiedenartigen Bedürfnisse, die sich daraus ergeben, zogen sich wie ein roter Faden durch alle Reden und Grußworte der Jubiläumsveranstaltung dieser Schule.

1963 wurde die Abendrealschule Ravensburg als eine der ersten in Baden-Württemberg durch den Verein Abendrealschule Ravensburg e.V. gegründet. 1993 ging sie in die Trägerschaft des Kolping-Bildungswerks Württemberg über, nachdem der Unterricht schon seit vielen Jahren in den Räumen des Kolping-Bildungszentrums Ravensburg stattgefunden hatte. Ebenso bestand durch die Schulleitung und die Lehrerschaft bereits eine enge Verflechtung mit den Schulen des 2. Bildungsweges im Hause Kolping.

Gegründet wurde die Abendrealschule in einer Zeit, als gerade einmal 12 Prozent der Schülerinnen und Schüler ihre Schulzeit mit dem Abitur beendeten. Weit über 70 Prozent begnügten sich mit dem Hauptschulabschluss, der damals noch Volksschulabschluss hieß. Das Bedürfnis nach einem 2. Bildungsweg und der Möglichkeit, sich berufsbegleitend weiterzubilden, lag damit auf der Hand und die Gründung einer Abendrealschule war die Konsequenz aus dieser Ausgangslage. Zum Vergleich: Heute verlässt fast ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler die Schule mit dem Abitur. Dass der 2. Bildungsweg damit aber nicht überflüssig geworden ist, wurde am Jubiläumsabend sehr deutlich.

Welche Bedeutung die Abendrealschule in den 50 Jahren seit ihrer Gründung erlangt hat, zeigte sich auch durch die Gästeliste der Jubiläumsveranstaltung: Der Oberbürgermeister von Ravensburg, zwei Landtagsabgeordnete, mehrere Stadträte und zahlreiche Vertreter der oberschwäbischen Bildungslandschaft konnten durch Jürgen Witznick, den Leiter des Kolping-Bildungszentrums Ravensburg und Schulleiter der Abendrealschule, begrüßt werden. Er wies darauf hin, dass es wohl keine Schulart gebe, bei der sich Wissensstand, Vorbildung, Sprachkenntnisse, Lerntempo und Alter der einzelnen Schülerinnen und Schüler so stark unterscheiden würden. Auch die kulturellen Hintergründe der Einzelnen seien unterschiedlich. Dies mache die Abendrealschule zu einer besonderen Schule, die besonders innovativ gestaltet werden müsse.

Der Vorstand des Kolping-Bildungswerks Württemberg, Dr. Klaus Vogt, griff genau diesen Punkt auf und dankte den Lehrerinnen und Lehrern der Abendrealschule: „Nur durch Ihr Engagement und Ihren Einsatz gelingt es, die Abendrealschule zu einer besonderen Schule zu machen. Sie sind es, die stets auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen und ihnen Halt geben.“ Eine Aussage, die von Gianna, Daniel und Julian, drei Schülern der Abendrealschule, in ihren Beiträgen bestätigt wurde. Sie schilderten in sehr persönlichen Worten, wie sie in der Abendrealschule Unterstützung gefunden haben und wie wichtig ihnen das positive Lernumfeld dabei ist. Zum Ausdruck kam dabei aber ebenso, welche Bedeutung die gegenseitige Hilfe innerhalb der Schulklasse hat. Dass dies in einer positiven Atmosphäre, wie sie in der Abendrealschule Ravensburg vorhanden ist, gut gelingt, überraschte das Publikum nicht.

Auf die Bedeutung des 2. Bildungsweges und entsprechender Schulen in einer Zeit, in der sich Unternehmen und ganze Regionen mit großem Fachkräftemangel befassen müssen, wies Ravensburgs Oberbürgermeister Dr. Daniel Rapp hin. Oft werde überlegt, wie es gelingen könne, Fachkräfte in die Region zu holen. Viel wichtiger sei aber die Überlegung, wie es gelingen könne, Fachkräfte in der Region zu halten. Dabei würden Weiterbildungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle spielen.

Der Landtagsabgeordnete Rudi Köberle (CDU), der über viele Jahre als Mitglied der Landesregierung die Bildungspolitik in Baden-Württemberg wesentlich mitgestaltete, unterstrich die grundsätzliche Bedeutung der Realschule. Ein Jubiläum sei nicht nur Anlass zur Rückbesinnung. Ebenso seien eine aktuelle Standortbestimmung und ein Blick nach vorne notwendig. Und hier könne klar festgestellt werden, die Realschule sei die erfolgreichste Schule in Baden-Württemberg und müsse entsprechend erhalten werden, auch in der Form der Abendrealschule.

„Bildungsabschluss ist Zugang zur Teilhabe an der Gesellschaft“, unterstrich sein Landtagskollege Manne Lucha (Bündnis 90/Die Grünen). Und hier sei die Abendrealschule für Schülerinnen und Schüler aus einem eher bildungsfernen Umfeld oft die einzige Chance. Betroffen seien dabei aber auch in einer so bunten und vielfältigen Stadt wie Ravensburg bei weitem nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund.

Dieses Thema griff Heinz Schlumpberger, stellvertretender Vorsitzender und pädagogischer Leiter des Landesverbandes der Abendrealschulen, auf. Er berichtete, seit ihrer Gründung hätten die Abendrealschulen weit über ihren Bildungsauftrag hinaus in die Gesellschaft hinein gewirkt. Die Integration von Menschen in ihr Umfeld habe dabei stets eine wichtige Rolle gespielt. Zu Beginn seien es noch Flüchtlinge gewesen, gefolgt von den Spätaussiedlern. Und heute müsse es gelingen, die Migranten aus den unterschiedlichsten Ländern zu integrieren. „Dabei geht es bei der Abendrealschule nicht nur um Wissensvermittlung. Wir müssen den Schülerinnen und Schülern vermitteln, worauf es im Leben ankommt“, schloss er seinen Beitrag.

Welche Aufgaben im Rahmen dieser Bildungsarbeit zu bewältigen sind, wurde anhand konkreter Schülerbeispiele deutlich, die die Lehrerinnen Sigrid Zodel, Sandra Heister und Eva Bielak eindrucksvoll schilderten. Da war die Schülerin, die praktisch ohne Deutschkenntnisse ankam und mit viel Einsatz und mit Unterstützung aus der Klasse diese zusätzliche Herausforderung bewältigen konnte. Heute macht sie ihre Lehre als Bäckereifachverkäuferin. Da ist aber auch der deutsche Schüler mit Glatze und Springerstiefeln, der mit einem Rucksack voller Vorurteile in der Schule ankommt, plötzlich neben einem türkischen Klassenkameraden sitzt und nun lernen muss, dass auch hier ein kameradschaftlicher Umgang möglich und sogar hilfreich ist. Und da ist der 43jährige dreifache Familienvater, der seinen erlernten Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann und nun nochmals von vorne beginnen muss.

Aus jedem dieser Berichte klang vor allem eine Botschaft ganz deutlich hervor: Auch 50 Jahre nach ihrer Gründung wird die Abendrealschule noch dringend benötigt. Abendrealschule hat Zukunft.